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„Digital Twins tragen zur nachhaltig gesteigerten Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens bei und sind Schlüsselfaktor in der Digitalisierung“

Ein Kommentar zur Digitalisierung von Andree Hündling, Leiter Engineering Service und Communication Service bei ASAP, und Rafael Leluschko, Projektleiter Digital Engineering bei ASAP.

VR E-Maschine-Simulation

Andree Hündling: „Im zweiten Teil unserer Beitragsreihe ‚Digitalisierung: Kommentiert‘ haben Rafael Leluschko und ich das Product Lifecycle Management (PLM) näher beleuchtet. Dabei sind wir auf die Herausforderungen bei der Einführung von PLM-Systemen und deren zahlreiche Vorteile eingegangen. So fungiert ein PLM-System als Single Source of Truth sämtlicher Daten und Informationen eines Produktes, die entlang des Produktlebenszyklus auftreten. Angereichert mit Daten aus weiteren Systemen (z.B. ERP-Systemen) spricht man hier auch oft vom ‚Digital Thread‘, dem digitalen roten Faden. Als zentraler Bestandteil des Digital Threads bilden PLM-Systeme auch die Basis für unser aktuelles Fokusthema: Digital Twins. Denn die Voraussetzung für den digitalen Zwilling eines komplexen Produktes, wie z.B. einem Fahrzeug, ist ein PLM-System: Nur hiermit ist die zentrale Verwaltung und virtuelle Abbildung aller Informationen rund um ein Fahrzeug entlang des gesamten Produktlebenszyklus möglich.“  

Rafael Leluschko: „Ein digitaler Zwilling ist im Prinzip ein virtuelles, computergestütztes Modell von beispielsweise einem Prozess, einem Produkt oder einer Dienstleistung. Es gibt verschiedenste Use-Cases für den Einsatz und den Nutzen von digitalen Zwillingen. In diesem Teil der Kommentarreihe fokussieren wir uns auf das virtuelle Abbild von Produkten, jedoch sind digitale Zwillinge beispielweise auch für ganze Fabriken oder deren Prozesse denkbar. Beim Digital Twin des Produkts ‚Fahrzeug‘ kann man prinzipiell zwischen Hardware- und Software-Zwillingen unterscheiden. Hardware-Zwillinge können alle Informationen zu Bauteilen des Fahrzeugs darstellen – beispielsweise Geometrien, Materialeigenschaften, Gewichte oder Oberflächen. Software-Zwillinge von Fahrzeugen können wiederum alle Informationen rund um das Zusammenspiel von Sensoren und Aktoren im Fahrzeug und die entsprechenden Funktionen abbilden. Stand heute sind diese Hard- und Software-Informationen aus allen Phasen des Lebenszyklus in verschiedenen Systemen hinterlegt. Für eine funktionsorientierte Entwicklung müssen alle Informationen in einer intelligenten Systemlandschaft zusammengeführt werden. Wir benötigen durchgängige PLM-Systeme, die Hardware-, Elektronik- und Software-Informationen an einem Punkt zusammenführen und alle Daten miteinander in Kommunikation bringen. Im letzten Beitrag haben wir bereits erörtert, weshalb es sich für Unternehmen lohnt, die Herausforderungen bei der Umsetzung solcher Systeme zu meistern. Dies trifft auch auf den Einsatz von Digital Twins zu: Hat man die Basis für sie geschaffen, sind die damit einhergehenden Vorteile immens.“

Rafael Leluschko: „So können Automobilhersteller mit dem Einsatz von Digital Twins die Traceability über den gesamten Produktlebenszyklus sicherstellen. Zur Traceability, also zur Rückverfolgbarkeit aller Entwicklungsschritte bis hin zum fertigen Produkt und darüber hinaus, haben sich die Hersteller verpflichtet. Gleichzeitig ist die Rückverfolgbarkeit unverzichtbar geworden, um den stetig zunehmenden länderspezifischen Gesetzesanforderungen sowie dem kontinuierlich steigenden Individualisierungsgrad des Produkts begegnen zu können. Nicht nur werden so die Compliance-Anforderungen erfüllt, sondern gleichzeitig lassen sich damit der Herstellungsprozess verbessern und der Produktlebenszyklus verlängern. Sind alle Prozesse rund um die Entstehung vollständiger Digital Twins erst einmal etabliert, kann man den aktuellen Entwicklungs- und Produktionsstand jedes Fahrzeugs in Echtzeit verfolgen. Darüber hinaus lassen sich mit ihnen zunehmend mehr Tätigkeiten in die virtuelle Welt verlagern: Mit den Digital Twins lassen sich Komponenten etwa ohne den Einsatz teurer Prototypen virtuell validieren und so schließlich optimieren. Der Einsatz von Digital Twins trägt somit auch zu einer nachhaltig gesteigerten Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens bei und ist ein Schlüsselfaktor innerhalb der Digitalisierung.“

Andree Hündling: „Bei ASAP nutzen wir beispielsweise längst Digital Twins von Funktionen und Komponenten und können auf diese Weise maßgeblich Zeit und Kosten in ihrer Entwicklung und Erprobung sparen. Für ein Projekt haben wir etwa die virtuellen Abbilder aller Komponenten eines elektrischen Antriebsstrangs aufgebaut. Um sie hinsichtlich verschiedenster Kriterien erproben zu können, erfüllen die Digital Twins unterschiedlichste Anforderungen – sie können sowohl Mechanik und Elektrik, als auch Thermodynamik und Lebensdauer der Testobjekte abbilden. In dem Projekt beantworten wir mit den Digital Twins unter anderem Fragen zur Reichweiten- und Betriebszustandsvorhersage ohne reale Testläufe. Durch die simulative Betrachtung von Last- beziehungsweise Fahrprofilen führen wir mit den Digital Twins zum Beispiel virtuelle Erprobungen zur Identifikation mechanischer und thermischer Hotspots im Fahrzeug durch. Wir nutzen sie zudem in allen weiteren Phasen der Entwicklung von E-Fahrzeugen – von Auslegungsuntersuchungen über die Prototypenentwicklung bis hin zur Erprobung. Der Nutzen von Digital Twins dabei ist vielfältig: Zum einen sorgen sie für eine optimale Verzahnung der einzelnen Entwicklungsphasen, da sie für eine konstante Verfügbarkeit von Daten sorgen. Diese Daten ermöglichen wiederum die kontinuierliche Optimierung der abgebildeten Komponenten und Funktionen über alle Prozessschritte hinweg. Zum anderen gestatten uns Digital Twins den sprichwörtlichen Blick in die Glaskugel: bevor erste Hardware oder Prototypen real existieren, können neue Komponenten oder Funktionen virtuell mit ihnen erprobt werden. Auf diese Weise erhalten wir Erkenntnisse über die Reaktion der Komponenten oder Funktionen in bestimmten Situationen, bevor diese eintreten. Mögliche Fehler und ihre Ursachen können wir dadurch frühzeitig in der Entwicklung beheben. Kosten und Aufwand in der Erprobung, dem Prototyping und der Produktoptimierung werden durch den Aufbau von Digital Twins demnach deutlich gesenkt.

Den Aufbau solcher Digital Twins übernehmen bei ASAP unsere Kolleginnen und Kollegen aus der Modellbildung und Simulation. Bei der Entwicklung und Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie unterstützen unsere Experten aus dem ASAP Engineering Service und der Softwareentwicklung unsere Kunden. Unser durchgängiges Leistungsportfolio umfasst etwa qualitätsorientiertes Datenmanagement, ganzheitliches Digital Engineering oder auch die Integration und das Customizing von PLM-Systemen. Dabei sind wir für die Kunden Partner von der ersten Konzept-Idee bis zum Rollout. Im nächsten Teil der Beitragsreihe wird in diesem Kontext das Themenfeld ‚Digitale Fabrik‘ im Fokus stehen, bei dem der Einsatz von digitalen Zwillingen eine wichtige Rolle spielt.“