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„Die Digitale Fabrik ist eine Voraussetzung, um als Industrieunternehmen mit steigenden Anforderungen Schritt halten zu können“

Ein Kommentar zur Digitalisierung von Andree Hündling, Leiter Engineering Service und Communication Service bei ASAP; Rafael Leluschko, Projektleiter Digital Engineering bei ASAP; Peter Schramm, Senior Expert Digital Engineering bei ASAP.

Mitarbeiter in der Digitalen Fabrik

Andree Hündling: „Der dritte Teil unserer Beitragsreihe ‚Digitalisierung: Kommentiert‘ war dem Thema Digital Twins gewidmet. Dabei haben wir uns auf die virtuellen Abbilder von Produkten konzentriert und beim Produkt ‚Fahrzeug‘ zwischen Hardware- und Software-Zwillingen unterschieden. Darüber hinaus standen die zahlreichen Vorteile des Einsatzes von Digital Twins – beispielsweise eine Traceability über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg – im Fokus. In diesem vierten und vorerst letzten Teil unserer Kommentar-Reihe gehen wir einen Schritt weiter und beleuchten das Thema Digitale Fabrik, also die virtuellen Abbilder ganzer Fabriken und zugehöriger Fertigungsanlagen. Damit schließen wir auch den Kreis zurück zu PLM-Systemen, deren Notwendigkeit für die Durchgängigkeit, Vernetzung und Nachverfolgbarkeit von Daten wir zu Beginn der Kommentar-Reihe erläutert haben.“

 

Rafael Leluschko: „Das Thema Digitale Fabrik macht die Bedeutung von PLM-Systemen nochmals deutlich: Sie dienen als Single Source of Truth für sämtliche Daten und Informationen eines Produktes entlang des Produktlebenszyklus. Zusammen mit Informationen aus weiteren Systemen ermöglichen sie die Bildung des Digital Thread, eine Art digitaler roter Faden innerhalb eines Unternehmens. Der Digital Thread setzt sich aus Daten verschiedenster Punkte entlang der Wertschöpfungskette eines Produktes zusammen. Dieser sprichwörtliche Faden zieht sich samt Informationen aus den unterschiedlichen IT-Systemen ‚virtuell‘ durch die gesamte Fertigungslandschaft. Ein solcher Digital Thread, der noch längst kein Standard in Unternehmen ist, stellt auch das Fundament für die digitale Fabrik dar. Der Begriff Digitale Fabrik steht für ein umfassendes Netzwerk von digitalen Modellen, Werkzeugen und Methoden. Es werden unter anderem Simulationen, dreidimensionale Visualisierungen und Virtual Reality-Technologien genutzt, die mithilfe eines durchgängigen Digital Threads integriert werden. Diese können von allen am Produktentstehungsprozess beteiligten Personen und Unternehmen mit höchstmöglicher Parallelisierung genutzt werden. Die Nutzung der Digitalen Fabrik erstreckt sich von der eigentlichen Fertigungs-, Anlagen- und Fabrikplanung bis hin zu den Betreibern der Fabrik. Die Einführung und Nutzung der Digitalen Fabrik geht mit zahlreichen Vorteilen einher. Sie ermöglicht uns künftig eine Ganzheitlichkeit bei der Planung sowie kontinuierlichen Analyse und Optimierung aller mit einem Werk sowie den dort produzierten Gütern im Zusammenhang stehenden Prozessen und Ressourcen. Dies schafft unter anderem eine höhere Transparenz, eine Erhöhung von Effizienz und Produktivität sowie die Senkung von Kosten. Mithilfe der digitalen Werkzeuge wie zum Beispiel Virtual Reality können zusätzlich die Kommunikation verbessert und Fehler vermieden werden. Auf einige der Vorteile möchten wir im weiteren Verlauf noch etwas detaillierter eingehen. Stand heute gilt es in den meisten Unternehmen jedoch noch zahlreiche Hürden bis zu einer vollständigen Digitalen Fabrik zu meistern: So liegt eine der Herausforderungen in den Produktionsanlagen selbst, die oftmals noch komplett entkoppelte Insellösungen mit eigenen IT-Systemen sind. Darüber hinaus sind noch längst nicht alle Daten eines Unternehmens Teil eines vernetzten und integralen PLM-Systems. Die Auswahl und Konfiguration geeigneter Schnittstellen für die verschiedenen IT-Systeme und Tools sowie die Definition geeigneter Datenformate stellt viele Unternehmen vor Probleme. Eine weitere große Herausforderung stellt die Berücksichtigung und Nutzung neuer Technologien dar, wie beispielsweise moderne Cloudlösungen und vernetzte IIoT-Technologie (Industrial Internet of Things). Meistert man alle Herausforderungen, so kann die Digitale Fabrik mit ihren virtuellen Modellen als Grundlage zur Erstellung und Inbetriebnahme der ‚Smart Factory‘ dienen. Diese Endausbaustufe einer digitalen Fabrik wird oft auch intelligente Fabrik genannt. Dank des Einsatzes intelligenter Komponenten wäre es hiermit möglich, dass sich die Produktion nahezu autark organisiert und zahlreiche Aufgaben selbstständig ausführt.“

 

Peter Schramm: „Zwar sind die Herausforderungen sehr komplex, doch die mit einem umfassenden PLM-System und der Digitalen Fabrik verbundenen Vorteile wiegen den Aufwand bei der Umsetzung mehr als auf. Ein bereits genannter Punkt von enormer Bedeutung ist die mit der Umstellung einhergehende Konsistenz aller Daten eines Unternehmens: Änderungen müssen lediglich einmal zentral im PLM-System hinterlegt werden und sind anschließend sofort verfügbar. Dadurch ist jederzeit Verlass auf ihre Richtigkeit und die Fehlerwahrscheinlichkeit sinkt deutlich. Gerade beim Produkt ‚Fahrzeug‘, das durchschnittlich aus etwa fünftausend verschiedenen Bauteilen besteht, wird deutlich, wie wichtig verlässliche, aktuelle Daten sind, da andernfalls kostspielige Fehler die Folge sein können: Die zahlreichen Bauteile müssen in technischer Produktreihenfolge korrekt montiert und die verschiedenen Varianten und Derivate dabei von einer Vielzahl an unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen im Blick behalten werden. Zudem gilt es, aufgrund der zunehmenden Vielfalt an Varianten bei gleichzeitig immer kürzeren Entwicklungszyklen, die Planungsprozesse zu beschleunigen. Auch hierbei ist die Digitale Fabrik von entscheidendem Vorteil, da sich durch sie Prozesse parallelisieren lassen – man spricht dabei vom sogenannten ‚simultaneous engineering‘. Entwicklungsschritte werden dabei nicht mehr sequentiell, sondern mithilfe der durch die Digitale Fabrik verfügbar gemachten virtuellen Modelle parallel zueinander bearbeitet. Für die Entwicklung bedeutet das eine erhebliche Zeit- und Kostenersparnis. Durch die stets aktuellen, unternehmensweit verfügbaren digitalen Modelle von Fabriken, Produktionsanlagen und Takten ergeben sich zudem zahlreiche weitere Möglichkeiten für die Planung: Zum Beispiel können Mitarbeitende eine Produktionsanlage für Planungsgespräche durch den Einsatz von Virtual Reality (VR) virtuell besuchen und gemeinsam begehen. Das erleichtert die Kommunikation und Zusammenarbeit und macht diese zudem standortunabhängig. Die virtuellen Modelle sorgen auch dafür, dass Schulungen wesentlich kostengünstiger und verständlicher durchgeführt werden können. Auch sie können dank VR im virtuellen Raum stattfinden, wo digitale Hinweise an den virtuellen Anlagen – beispielsweise Schritt-für-Schritt-Montageanleitungen – die Schulungsteilnehmenden beim Lernen und Verstehen unterstützen. Neben VR kann durch die digitalen Modelle zudem auch Augmented Reality (AR) gewinnbringend eingesetzt werden. So kann etwa das virtuelle Planungsmodell beim Aufbau einer neuen Produktionsanlage auf die reale Anlage projiziert und so schneller hinsichtlich Übereinstimmung überprüft werden. Einen weiteren großen Vorteil der Digitalen Fabrik stellen Simulationen dar: Mit ihnen können neue Produktionsanlagen schon während der Planungsphase hinsichtlich ihrer Eignung für den Fertigungsprozess überprüft werden. Dabei kann mit digitalen Zwillingen der zu fertigenden Produkte sowie virtuellen Modellen der Produktionsanlagen und Mitarbeitenden der gesamte Ablauf in einer Fabrik simuliert werden. So fallen zum Beispiel nicht nur falsche Platzierungen von Logistikregalen oder ganzer Arbeitsstationen auf, die den Ablauf stören würden. Auch die Ergonomie der Arbeitsplätze sowie die körperliche Belastung durch einzelne Arbeitsschritte werden überprüft. Auf diese Weise werden schon in der Planungsphase Einschränkungen im späteren Produktionsablauf ausgeschlossen und die Arbeitsstationen hinsichtlich eventuell notwendiger Hilfsgeräte überprüft. Bei bereits bestehenden Produktionsanlagen kann mittels Simulationen zudem beispielsweise kontrolliert werden, ob sich die Anlage für eine Umstellung auf die Fertigung neuer Fahrzeugmodelle oder vollelektrischer Fahrzeuge eignet. Viele weitere Vorteile der Digitalen Fabrik – etwa auch die Möglichkeit zur Produktbeeinflussung, indem Konstrukteure auf Produktionsdaten in Echtzeit zugreifen und das Produkt entsprechend anpassen können – ließen sich an dieser Stelle noch nennen. Somit ist die Umsetzung von PLM-Systemen und Digitaler Fabrik zwar mit hohem initialen Aufwand verbunden. Dieser rentiert sich durch die damit einhergehenden Optimierungspotentiale hinsichtlich Prozessen, Strukturen und Ressourcen jedoch nicht nur – er ist sogar unumgänglich geworden, um mit den steigenden Anforderungen in der Automobilindustrie Schritt halten zu können.“

 

Andree Hündling: „Die Automobilindustrie nimmt deshalb auch eine Vorreiterrolle bei der Umsetzung der Digitalen Fabrik ein und hat in vielen ihrer Prozesse bereits die benötigten Tools implementiert, um Daten verfügbar zu machen. Um unsere Kunden auf dem Weg zu durchgängigen PLM-Systemen und zur Digitalen Fabrik zu unterstützen, bietet die ASAP Gruppe ein breites Leistungsportfolio rund um diese Themen an. Unsere Experten aus dem Engineering Service und der Softwareentwicklung unterstützen die Kunden bei der Entwicklung und Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie. So etablieren wir beispielsweise ein durchgängiges Datenmanagement oder übernehmen das Customizing benötigter Systeme. Dabei sind wir für die Kunden Partner von der ersten Konzept-Idee bis zum Rollout.“